Dunkel
tabu
Über psychische Krankheiten wird nicht gerne gesprochen. Und wenn man es trotzdem tut, hat es irgendwie immer einen faden Beigeschmack. Man weiss nicht so recht, was angebracht ist. Peinlich berührt sagt man entweder nichts oder es wird doch ein leiser Vorwurf hineingepackt. Man hat’s ja selber auch nicht leicht, also. Wieso geht's der so schlecht? Die hat doch alles! Soll mal ein bisschen dankbar sein. Er ist in der Psychi, konnte dem Druck nicht standhalten. Oh, was? In der Psychi? Krass… sind dort nicht nur die, die nicht ganz 100 sind? Ja, weiss nicht. War halt schon immer ein sensibler. Sie ist immer so schlecht drauf, soll sich doch ein bisschen zusammenreissen. Sie hat Job, Freund, Geld. Wo ist das Problem? Er soll doch einfach mitkommen in die Bar, mit Ablenkung geht das dann schon wieder, aber er ist auch selber Schuld, wenn er nur zu Hause rumhockt. Ja, sie ist schon eine Arme… halt nicht so widerstandsfähig.
Fällt euch auf, wie schwach diese Menschen wirken? Als hätten sie's nicht geschafft. Als gäben sie auf oder als wären sie zu bequem, um zu kämpfen. Um eben dieses Vorurteil zu bekämpfen, schreibe ich diesen Text. Um das Vorurteil zu bekämpfen, «wenn man will, dann ist man nicht psychisch krank». «aber man muss halt wollen & sich ein bisschen zusammenreissen». Nein. Wenn du dir das Bein brichst, kommt es mir auch nicht in den Sinn dir zu sagen, du sollst dich zusammenreissen, dann könntest du auf jeden Fall laufen. Dann bräuchtest du die Krücken nicht. Das käme niemandem in den Sinn.
Herzensthema
Wie alle Texte hier sind es Herzensthemen, die ich bearbeite. Meine Botschaft: Psychische Krankheiten sind Krankheiten. Die Patienten können nichts dafür. Und es ist dabei auch egal, um welchen Schweregrad und welche Art der psychischen Krankheit es sich handelt. Sie alle haben eines gemeinsam. 1. Sie sind Krankheiten, aber man sieht sie nicht. 2. Sie brauchen eine Behandlung wie viele andere Krankheiten auch eine brauchen. Und das Schöne: Man kann diese Krankheiten behandeln und je nachdem auch heilen, wie viele andere Krankheiten auch.
Aber es ist ein Kraftakt. Ein Weg mit Rückschlägen. Und deshalb behaupte ich das Gegenteil des Vorurteils, dass diese Menschen schwach sind. Sie sind stark. Sie haben sich dafür entschieden zu leben, sich mit ihren Baustellen auseinanderzusetzen. An Stellen hinzugehen, die schmerzen. Tiefe zuzulassen und daraus Stärke zu entwickeln. Sich mit den eigenen Fehlern an einen Tisch zu setzen und ihnen zuzuhören. Denn sie erzählen, wenn man richtig hinhört, woher sie kommen und weshalb sie gekommen sind. Und dann bedeutet es ebenfalls Stärke, in einem zweiten Schritt Hilfe anzunehmen. Diese Menschen sind ihrem Wesen, ihrem Innersten, vermutlich zwangshalber schon viel nähergekommen, als viele andere. Weil sie mussten. Weil es nötig war, um aus dem Loch herauszukommen.
Depressionen. BurnOut. Das sind Krankheiten. Theoretisch wüssten dies wahrscheinlich viele Menschen. Doch praktisch ist es noch lange nicht überall angekommen. Beim Stammtischgespräch oder beim Klatsch und Tratsch bei der Arbeit, wo auch immer. Irgendwie urteilen die Menschen dann doch ganz gerne. Entweder, um sich selber besser zu fühlen, indem sie andere als schwach betiteln und ihnen eigene Schuld an ihrem Leid zuweisen. Oder einfach aufgrund fehlenden Wissens. Häufig nicht mal böswillig.
«Viele Untersuchungen deuten darauf hin, dass Depressionen durch typische Veränderungen von Botenstoffen im Gehirn gekennzeichnet sind. Dabei scheinen bestimmte Botenstoffe (so genannte Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin, Noradrenalin, Acetylcholin, Gamma-Aminobuttersäure) aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Depressive Patienten weisen im Vergleich zu Gesunden oft eine erniedrigte Aktivität von Serotonin, Noradrenalin oder Dopamin auf.»
Dies ist ein Auszug aus meinen Recherchen zu Veränderungen im Gehirn während einer Depression. Ich bin keine Ärztin und ein Experte könnte dies viel genauer beschreiben. Es geht mir nicht darum, psychische Krankheiten fachmännisch zu erklären, das kann ich nicht und will ich auch nicht. Doch diese oben geschilderte Tatsache, dass tatsächlich körperliche Veränderungen festgestellt wurden im Körper von depressiven Menschen, milderte das Schuldgefühl, mit welchem auch ich während einer Depression kämpfte. Es wird kein Knochenbruch festgestellt, jedoch eine Veränderung der Botenstoffe im Gehirn. Es ist nicht einfach ein «Riss dech mol zäme» oder «Dänk doch a s Schöne». Es ist doch einiges mehr…
Der Auslöser für eine psychische Erkrankung ist keine Einzahl. Es ist eine Mehrzahl. Genetische Faktoren, Umwelteinflüsse, soziale Einflüsse, Erlebnisse in der frühen Kindheit, Veränderungen im Gehirn…
«Probier doch mol s Schöne z gseh im Läbe!» Unendlich viele Schuldgefühle löste dieser Satz aus, als ich tief unten steckte und das Schöne einfach nicht mehr sehen konnte. Dami, ech weiss. Aber es god ned. Ehr verstönd das eifach ned.
Zusätzlich zur Antriebslosigkeit, Lustlosigkeit und dem Sehnen nach Rückzug dann auch noch starke Schuldgefühle zu spüren, war das Schlimmste.
Das Leben IST lebenswert. Und ich BIN dankbar. Aber ich weiss auch, dass man das während einer Depression nicht mehr «richtig» fühlen kann. Sehr wohl kann man es rational «wissen», doch das ist ein grosser Unterschied.
Dass die Gedankenschlaufen einen regelrecht erdrücken. Dass man nicht weiss, wofür man aufsteht und dass man sich zurückzieht. Dass man denkt, man sei für jeden zu viel. Und das Problem sind oftmals nicht ständig traurige Gefühle, sondern das Fernbleiben der Gefühle. Das Ausbleiben der Gefühle. Die Gleichgültigkeit.
Schweigt gemeinsam
Ich möchte mit diesem Text alle Menschen ermutigen, welche dieses Gefühl (oder eben «Nicht-Gefühl») kennen oder welche einen Menschen in ihrem Umfeld haben, dem sie gerne helfen würden, es aber nicht können und sich hilflos fühlen. Denn dies ist oftmals auch extrem schlimm und ruft ein Gefühl von Hilflosigkeit hervor. Es wird wieder Licht kommen. Kämpfe. Probiere deine Verletzlichkeit als Diamant anzusehen, welcher dir den Weg hinausweist. Und für alle Angehörigen: Es braucht keine Ratschläge. Keine Tipps. Seid einfach da. Hört zu. Oder schweigt gemeinsam. Das reicht. Das ist wertvoll.
In meinem ersten Blog habe ich ein Hoch auf Kaffee und Herbstlaub geschrieben. Ich habe in der Therapie gelernt, mich bewusst an ganz, ganz kleinen Dingen zu freuen. Und mich anzunehmen, so wie ich bin. Schlussendlich sind wir alle auf dem Weg. Ein Leben lang.
Ich kann diesen Text jetzt erst schreiben, weil ich eine gewisse Distanz zu dieser Zeit entwickelt habe. Weil Afrika mich ein Stück weit geheilt hat. Ich weiss aber auch, dass ich zu mir Sorge tragen muss. Jeden Tag. Damit es so bleibt. Der Text ist Verarbeitung und der Wunsch nach Aufklärung und Ermutigung an alle da draussen zugleich.
Seid versöhnlich mit euch. Es wird besser. Und ihr seid stark. Vergesst das nie.
Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text veröffentlichen soll. Er ist persönlich. Aber er ist mir auch unendlich wichtig. Und er ist mit Grund, weshalb ich mir zum Ziel gesetzt habe, euch bei den Beratungen zu zeigen wie perfekt und wunderschön ihr seid, genauso, wie ihr seid. Mit eben all den Geschichten und Verletzungen die jeder mit sich herumträgt. Meine Geschichte dient lediglich als Beispiel, dass man seine Unvollkommenheit nicht verstecken muss. Es sind offene Karten. Es ist Authentizität.
Schlussendlich habe ich mich dafür entschieden. Denn psychische Krankheiten sind aus meiner Sicht nach wie vor ein viel zu grosses Tabu. Was ich nicht verstehe. Denn man muss sich für nichts schämen. Und je offener wir damit umgehen, je authentischer wir leben, desto weniger fühlen sich die betroffenen Menschen alleine. Dieses Vorspielen, dass man alles im Griff hat, ist schlussendlich etwas, das niemandem etwas bringt. Wir sind alle Menschen. Wir haben alle unsere Fehler. Es gibt keinen Grund, sich zu schämen oder sich nicht helfen zu lassen. Das perfekte Gärtli draussen heisst nicht, dass in der Villa drin alles glänzt. Ich mein ja nur.
Hilfe anzunehmen bedeutet Stärke
«Hilfe anzunehmen bedeutet Stärke» - Zitat der Sängerin Billie Eilish, welche ebenfalls mit psychischen Krankheiten kämpfte.
Vielleicht provoziere ich mit diesem Text. Vielleicht schockiert es Menschen, dass ich diesen Text auf meiner Homepage stehen habe. Und das ist okay. Es ist aber auch okay, wenn sich aufgrund des Textes jemand nicht mehr so alleine und hilflos fühlt. Wenn er ein kleines Puzzle-stück ist, das dazu beiträgt, offener mit psychischen Krankheiten und Schwächen in unserer Gesellschaft umzugehen.
Alle Menschen finden dich nie gut. Das ist aber auch okay, das bedeutet, dass du eine Meinung und deine Werte vertrittst und für deine Ansichten einstehst. Es wird die geben, die du mit deinen Worten und deinen Taten bereicherst und berührst, und die, die es nicht gut finden oder etwas daran auszusetzen haben. Beides ist okay.
Dass Menschen merken, dass diese Art von Krankheit viel verbreiteter ist, als wir denken. Dass Menschen mit psychischen Krankheiten kämpfen, von denen wir den Eindruck haben, dass sie unglaublich stark sind. Lindsey Vonn oder Billie Eilish sind nur zwei bekannte Namen, die ich dazu nenne. Es gibt noch viele mehr.
Im Laufe seines Lebens kämpft jeder vierte Mensch mindestens einmal mit einer psychischen Krankheit. Das ist Fakt.
Lasst uns freundlich miteinander umgehen und einander helfen. Das ist alles, was ich mir wünsche.
Gleichwertigkeit. Toleranz. Liebe.
Misch xxx
Pony M
P.S. Die Schweizer Comedy-Frau & brilliante Schreiberin Yonni Meyer (alias «Pony M») schrieb ebenfalls bereits mehrmals zu diesem Thema. Sie schrieb auch einen wahnsinnig authentischen, berührenden Text zu ihrem Aufenthalt in der Psychi. Ihre Lesungen und ihre Texte kann ich wärmstens empfehlen! Auch zu anderen Themen. Ebenfalls geeignet um herzhaft zu lachen!