Leistung

Das Streben nach Perfektion - Eine sackgasse

Ein heikles, oft diskutiertes Thema. Ich wag mich trotzdem daran, da ich das Gefühl habe, dass hier eine verzerrte Wahrnehmung vorherrscht und wir das eigentliche Leben mit unserem Streben nach Perfektion verpassen. Oder gewisse von uns. Oder auf jeden Fall ich, in der Vergangenheit. Ich habe nicht das Recht, für andere zu sprechen. Aber wenn sich nur eine Person mit meinem Text identifizieren kann, hat es sich gelohnt.

Ja, und plötzlich sind wir alt. Interessiert es dann irgendjemanden, ob wir unser Leben lang Grösse 36 getragen haben? Ich denke nicht. Auf deinem Grabstein wird's auch nicht stehen. Sorry. Ich teile hier meine Geschichte zu diesem Thema, da ich denke, dass das, was man von aussen sieht, häufig nicht das ist, was man selber fühlt. Und eine Definition von sich selber über Sport oder über den Körper für mich nicht gesund war. Mich in gewisser Weise leer gemacht hat und ich vergessen habe, was mich eigentlich ausmacht.

Lange war für mich intensives Sporttreiben mein Lebensinhalt. Ich spielte Handball, trainierte fast täglich und wusste, wie es sich anfühlt, einen trainierten Körper zu haben, der macht, was ich von ihm verlange. Kleine Anzeichen von Schmerzen oder Müdigkeit wurden ignoriert. Tape oder Tablette und dann passt das schon. Meistens waren es auch Dinge, die wieder verschwanden. Leider nicht immer. Bereits als Jugendliche musste ich mich zweier Knieoperationen unterziehen. Mein Bewegungsdrang wurde von einem Tag auf den anderen gestoppt. Ich hatte Krücken und musste in die Physio. Mir fehlte die Bewegung. Ich nahm zu. Nicht dramatisch, doch ich merkte es. Mein Selbstvertrauen litt. Doch nach den beiden OP's konnte ich dann irgendwann zurück. Kämpfte mich innert 2 Jahren wieder dorthin, wo ich vorher war, und holte mir erneut mein Selbstvertrauen im Sport. Ich glaube ich war zu jung, um wirklich daraus zu lernen. Mir war auch nicht bewusst, dass wir nur einen Körper haben. Es ging weiter. Ich strebte weiter nach Leistung. Und definierte mich dadurch.

Hatte ich am Samstag viele Tore geworfen, fühlte ich mich am Montag als wertvoll & wichtig. Wenn dies dann auch noch in der Reginalzeitung stand, umso besser. Hatte ich jedoch am Samstag einen schlechten Tag, warf nur ein oder noch schlimmer GAR KEIN Tor, war die Stimmung auch dementsprechend. Ich wusste dann, dass ich am Montag noch härter trainieren muss. Fühlte mich schlecht. Ja, die Jahre vergingen und ich trainierte immer. Ich hatte, im Nachhinein betrachtet, ein verzerrtes Selbstbild und das Gefühl, dass mein Selbstwert davon abhängt, wie gut ich im Sport bin und wie trainiert mein Körper ist.
Wie falsch und ungesund diese Einstellung ist, habe ich erst im Umfeld von wunderbaren, NICHT leistungsorientierten Menschen gelernt. Menschen, die mich wirklich kannten und mein Innerstes liebten. Ich bin immer noch daran, zu lernen und mich vollständig von diesem Leistungsdenken zu lösen. Mich selber zu heilen. Denn dieses Denken sitzt so tief in mir (und wahrscheinlich auch vielen anderen) drin. Wird von klein auf von der Gesellschaft so erwartet. Wer erfolgreich ist, ist wertvoll. Denkt man.

Nur stimmt das nicht.

Ja, und dann kam Februar 2019. Ich renkte mir die Schulter aus in einem Training. Es wurde mir schlecht. Die Schmerzen waren gross. Noch heute bin ich dem Physiotherapeuten der Herrenmannschaft extrem dankbar um seine Hilfe in diesem Moment. Danke Dani, dass du an diesem Tag da warst. Nicht nur körperlich. Vor allem auch seelisch. Ich weinte. Dies war mein letztes Handballtraining. Es war alles vorbei. Es ist jetzt etwas mehr als 2 Jahre her. 2 weitere Luxationen, viele Schmerzen und Physiostunden und schlussendlich eine unumgängliche Operation folgten.

 Das ist das, was man von aussen sieht. Doch der Prozess in mir drin… Von Ich bin nichts mehr wert. Wenn ich nicht mehr Handball spiele, wer bin ich dann überhaupt? Was kann ich überhaupt? Was ist, wenn ich zunehme? Wenn mein Bauch nicht mehr so straff ist? Was ist, wenn ich einen Buckel kriege, da ich so lange eine Schlinge um den Arm tragen muss?

Ja, was dann?

Ganz einfach eigentlich. Gar nichts ist dann! Ich bin genau der gleiche Mensch. Die Menschen, die dich als Menschen und nicht als Hülle lieben, lieben dich auch so. Mit Buckel. Mit Bauch. Mit Schlinge. Ohne Handball. Egal! Und Menschen, welche dich nur anhand deiner Leistung oder anhand deines Äusseren bewertet haben, werden aus deinem Leben verschwinden. Denn sie mochten nur die Vorstellung davon, wer du bist. Nicht die Realität.

Doch ist das wirklich so schlimm? Am Anfang wird man erstaunt sein, welche Menschen von der Bildfläche verschwinden. Vielleicht schmerzt es. Doch ich habe mit der Zeit viel klarer gesehen, wer immer da ist und nicht von meiner Seite weicht. Egal was ist. Wer MICH wahrnimmt. Und nicht meine Hülle. Ich stell mir diese Hülle jeweils vor wie bei den Kefen. Oder Bohnen. Ich bin aber die Kügelchen die drin sind. Und nicht nur die Hülle. Echte Freunde sind auch da, wenn du verdammt oncool bist. Und sind stolz auf dich, wenn du richtig cool bist. Sie wissen, dass du beides bist. Sie wissen, dass jeder beides ist.

Eine Zeit der Selbstfindung folgte. 3-4 Abende pro Woche und ein Wochenendtag waren plötzlich frei. Ich hatte Zeit für Neues. Für Musik. Für Kunst. Für die Natur. Für Yoga. Für feine Dinge. Für Verletzlichkeit. Zeit, um mit meinem Körper behutsam umzugehen, denn wir haben nur einen davon. Und schlussendlich Zeit, um zu mir zu finden. Zeit für eine neue Ausbildung. 
Zeit für Farb- und Stilberatung! :-)

Doch zu Beginn war da ein grosses, schwarzes Loch. Da meine Definition von mir selbst eine war über Leistung. Und über Schönheit. Und dabei war ich innerlich leer, strebte nach Anerkennung im Aussen, weil ich mir selber keine Anerkennung geben konnte.

Wie falsch das ist. Wie bereits im Text "Über mich" erwähnt: Wir alle sind wunderschön. Wenn wir uns selber sein können. Und das ausstrahlen, was aus dem Innern kommt. Wenn wir genau uns sind. Niemand anders. Und wenn wir uns annehmen.

Deshalb: Ihr seid genau richtig, so wie ihr seid. Und nicht der perfekte Body oder der beste Leistungsausweis oder Studienabschluss sagen etwas über dich aus. Mein Text bezieht sich auf den Sport. Doch eine Definition über Leistung kann auch im Beruf ungesund sein. Oder im Studium.

Das Wichtigste ist, dass uns bewusst wird, dass unser Wert nicht von der Leistung abhängt. Dass unser Wert immer gleich ist. Egal ob wir Ferien haben, nur im Bett liegen, oder ob wir hart arbeiten oder Sport treiben.

Unser Wert kommt von tief drin. Es ist unser Charakter. Unser Herz. Das, was aus ganz tief drin kommt.

Ganz vell Liebi!

Misch.

xxx

Nachtrag

Die Handball-zeit bescherte mir in der Vergangenheit auch unglaublich viele, wunderschöne Momente. Erfolg teilen zu können, Freundschaften zu schliessen, welche heute noch halten, mit Enttäuschung umzugehen und gemeinsam zu arbeiten, ein TEAM zu sein: Dies sind Dinge, die einem nur der Teamsport geben kann. Und ich bin dieser Zeit unglaublich dankbar.

Für die Persönlichkeitsentwicklung bedeutete es, Durchhaltevermögen zu entwickeln, über sich selber hinauszuwachsen und zielstrebig auf etwas hinzuarbeiten.

Es soll ebenfalls nicht bedeuten, dass Sport nicht gut ist. Im Gegenteil. Sport ist für mich unverzichtbar. Als Ausgleich, um meine Gedanken zu sortieren. Und um gesund zu bleiben. Im Mass. Und so oft und so intensiv, wie es für mich persönlich in diesem Moment stimmt. Mal mehr, mal weniger. Beides ist absolut okay.

Das Streben nach Perfektion, welches ich in mir drin hatte und welches ungesund war für mich, hat nichts mit den Umständen, dem Team, dem Trainer, den Vereinen oder Sonstigem zu tun. Es sind meine Gedanken zur Leistungsgesellschaft und meine persönlichen Erfahrungen damit. Ich konnte es nicht mehr objektiv betrachten und war darin gefangen.

P.S. Podcastfolgen von Chris Bloom “Realtalk für deine Seele” enthalten sehr viele wertvolle Inputs zum Thema Selbstwert. Sein grösstes Thema ist Selbstliebe und die Beziehung zu dir selbst. Hör bei Bedarf sehr gerne mal rein.

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Dunkel

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