Afrikanisches Lebensgefühl 

Wenn ich probiere, das Lebensgefühl in Worte zu fassen, welches ich in Burkina Faso gespürt habe, bin ich nie zufrieden. Denn es ist kaum zu beschreiben. Trotzdem möchte ich es hier versuchen und dem Land, welches mich am meisten berührt hat seit ich lebe, einen Text widmen. 

So schmerzlich waren gewisse Bilder, die sich in meinen Kopf einbrannten. Hungernde Kinder. Verlotterte Schulen mit Löchern im Dach. Fiebrige Angestellte. Zerfetzte Kleidung.
Doch was sich even more in meinem Gehirn festgesetzt hat, ist der Blick der Burkinabé. Nie mehr werde ich diesen vergessen.

Offen. herzlich. Und gleichzeitig selbstbewusst. Stolz. anmutig. Mit erhobenem Haupt. 

Die Liebe, die sie mir entgegenbrachten war so echt. So pur. So authentisch. Zu Beginn merkte ich, wie eingeschlossen ich bin in meinen Gedanken. Gedanken darüber, was andere denken. Gedanken darüber, was passieren wird. Gedanken darüber, wer ich bin und ob das okay ist, was ich tue. 
All dies hat sich in wenigen Wochen aufzulösen begonnen. Ich begann, in diesen wunderbaren Menschen Vorbilder zu sehen. Das ist paradox, da sie mich behandelten, als wäre ich das für sie. Doch für mich war es genau umgekehrt. Nie habe ich mich vorher so frei bewegt, geäussert, gelacht und geweint. Ich konnte mich in gewissen Momenten von den Fesseln befreien, welche ich mir in Europa selber angelegt hatte. Ich lernte, das zu sagen, was ich fühle. Ohne Hintergedanken. Ohne Bewertung. Ohne beim anderen etwas auslösen zu wollen. Einfach echt. 
Ich spürte den Sand zwischen meinen Füssen. Spürte wie mir die Arme brennen beim Zermatschen des Mittagessens mit einem übergrossen Mörser. Ich spürte die Hitze auf der Stirn. Spürte die Umarmungen der Kinder. Spürte das Leben. Endlich spürte ich es wieder.
Zuvor in der Schweiz fühlte ich mich manchmal, als wäre ich auf Autopilot geschaltet. Ich funktionierte. Relativ zuverlässig. Aber relativ gefühlslos. 
Körperliche Nähe war für mich zuvor schwierig. Ich wollte mich sicher fühlen. Und wenn man körperliche Nähe zulässt, ist man verletzlich. Die vorherigen 1.5 Jahre hatte ich begonnen, eine kleine Mauer um mich zu bauen. Damit mir niemand wehtut, damit ich sicher bin. 
Die Burkinabée rissen diese ein. Ohne zu fragen. Ohne zu urteilen. Ohne nachzudenken. 

Was mich beeindruckte, war ihre Art zu kommunizieren. Es schien mir, als wurde nie etwas gesagt, um etwas zu erreichen oder beim anderen auszulösen. Die Taten und was gesagt wurde schien mir nicht berechnend. Nicht manipulierend. Sondern einfach echt. Echt. Simpel. Selbstverständlich. Und vor allem: herzlich. 

Das war das, was ich in die Schweiz zurückbringen wollte.

Herzlichkeit. 

Und was ich zurücklassen wollte, war das Urteilen. Das habe ich in Afrika verlernt. Doch zurück in der Schweiz wurde mir schmerzlich bewusst, wie oft wir doch urteilen. Über alles und jeden. Dabei wissen wir oftmals das Meiste der ganzen Geschichte nicht. Wir haben das Gefühl, das Recht zu haben, über Dinge und Menschen zu urteilen, die anders sind. Obwohl wir nur einen Bruchteil ihrer Wahrheit kennen. Wenn überhaupt! Menschen, die ihren Weg gehen. Ja, die vielleicht aus der Reihe tanzen. Die sich von der Meinung anderer gelöst haben. Na und? Sollen alle Menschen schwarze Hosen, eine blaue Jacke und schwarze Schuhe tragen? Echt, es wäre so unglaublich langweilig. Bitte lasst uns mutig sein. Lasst uns farbig sein.

«Lasst uns ultraviolett sein. Denn ultraviolett vereint alle Farbnuancen in einem»

– Zitat aus dem Film «All the bright places – Netflix»

(ein absolut empfehlenswerter Film!)

Lasst uns das Urteilen verlernen.

Misch.

xxx

 

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Fiingfühl